Die Regelung in der Geschäftsordnung des Landtags von Rheinland-Pfalz über die Größe und Besetzung seiner Fachausschüsse ist verfassungsgemäß. Die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) hat keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den von ihr begehrten zweiten Sitz in den Ausschüssen, durch den sie im Vergleich zu ihrem Sitzanteil im Plenum überrepräsentiert wäre. Dies entschied der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz in einem Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2018 (vgl. Pressemitteilung Nr. 2/2018).
I.
1. Die AfD-Fraktion, die zum ersten Mal dem Landtag angehört, wandte sich mit ihrem Antrag gegen die Regelung der Größe und Besetzung der Fachausschüsse in der Geschäftsordnung des Landtags. Sie stellt dort 14 der insgesamt 101 Abgeordnetenmandate. Auf die SPD-Fraktion entfallen 39, auf die CDU-Fraktion 35, auf die FDP-Fraktion 7 und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 6 Abgeordnete.
Nach der von der Antragstellerin angegriffenen Regelung bestehen die Fachausschüsse des Landtags aus jeweils 12 Mitgliedern. Die 12 Sitze verteilen sich jeweils auf die Fraktionen nach dem „d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren“, jedoch stellt jede Fraktion mindestens ein Mitglied. Danach entfallen auf die SPD-Fraktion 5 und auf die CDU-Fraktion 4 Sitze in jedem Ausschuss. Die Antragstellerin erhält – ebenso wie die kleineren Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion der FDP – im Ergebnis jeweils einen Sitz in jedem Ausschuss.
2. Die Antragstellerin machte zur Begründung ihres Antrags geltend, der Landtag verletze ihren Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Fraktionen und den damit korrespondierenden Grundsatz der Besetzung von Ausschüssen als „Spiegelbild“ des Parlaments. Sie sei in den Fachausschüssen im Vergleich zum Plenum „krass unterrepräsentiert“. Die getroffene Regelung diene nur dazu, sie aus politischen Gründen gezielt zu benachteiligen. Nach Maßgabe der Geschäftsordnung der vorangehenden Legislaturperiode hätte sie einen Anspruch auf zwei von 13 Sitzen je Ausschuss gehabt. Es liege auf der Hand, dass sich die anderen Fraktionen bei Erlass der aktuellen Geschäftsordnung nicht am Gemeinwohl orientiert hätten, sondern am Bestreben, sie, die Antragstellerin, zu schwächen. Für die Verkleinerung der Größe der Ausschüsse gebe es keinen sachlichen Grund.
II.
Der Verfassungsgerichtshof wies den Antrag als unbegründet zurück.
Die angegriffenen Regelungen über die Besetzung und Größe der Fachausschüsse in der Geschäftsordnung des Landtags seien auch bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Zusammenspiels von Besetzungsverfahren und Ausschussgröße verfassungsgemäß.
Die Entscheidung über die Größe und Besetzung der Fachausschüsse falle in den Bereich der Organisationsautonomie des Landtags, dem hierdurch ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt sei. Eine Verpflichtung der Mehrheit, bei der Organisation der Ausschüsse den Interessen der Minderheit den Vorrang einzuräumen – hier: Zuteilung von zwei Ausschusssitzen statt einem Ausschusssitz –, bestehe dabei nur dort, wo die Verfassung dies gebiete. Das sei hier nicht der Fall. Von Verfassungs wegen habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf den von ihr begehrten zweiten Sitz in den Ausschüssen, durch den sie im Vergleich zu ihrem Sitzanteil im Plenum in den Ausschüssen überrepräsentiert wäre. Im Einzelnen:
1. Das festgelegte Zählverfahren nach d’Hondt sei nach der ständigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zulässig. Auch gegen die Festlegung der Ausschussgröße auf 12 Mitglieder bestünden bei isolierter Betrachtung keine Einwände. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Festlegung einer Ausschussgröße von 13 Mitgliedern bestehe nicht. Allerdings führe die Festlegung der Ausschussgröße von 12 Mitgliedern in Kombination mit dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren dazu, dass der garantierte Mindestsitz zugunsten kleiner Fraktionen („Grundmandatsregelung“) zum Tragen komme. Hierdurch entstehe eine „Verzerrung“ der spiegelbildlichen Abbildung der Stärkeverhältnisse im Vergleich zwischen der Antragstellerin (1 Sitz je 14 Abgeordnete) und den kleineren Fraktionen der FDP und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (1 Sitz je 6 Abgeordnete). Diese Abweichung von der spiegelbildlichen Proportionalität sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Grundmandatsregelung sei durch den Zweck gerechtfertigt, die Beteiligung aller Fraktionen – unabhängig von ihrer Größe – an der Ausschussarbeit zu gewährleisten. Der Landtag sei auch nicht verpflichtet, eine Ausschussgröße und ein Besetzungsverfahren festzulegen, bei dessen Anwendung die Grundmandatsregelung nicht zum Tragen komme. Es bestehe kein verfassungsrechtlicher Anspruch der Antragstellerin auf Anwendung eines „bestmöglichen“ Zählverfahrens.
2. Auch eine missbräuchliche Handhabung der Organisationsautonomie durch den Landtag könne nicht festgestellt werden. Es sei nach dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität kein Anzeichen für Willkür und bedürfe folglich keiner besonderen Begründung, wenn ein neu gewähltes Parlament bei Erlass seiner Geschäftsordnung von Regelungen der vorangehenden Wahlperiode abweiche. Die Geschäftsordnung eines Parlaments gelte – anders als Gesetze – jeweils nur für die Dauer der Wahlperiode des Parlaments, das sie beschlossen habe. Die Regelungen der vorangehenden Geschäftsordnung seien deshalb mit dem Ende der vorangehenden Wahlperiode automatisch außer Kraft getreten.
Unabhängig davon lasse sich – auch wenn es darauf hier nicht ankomme – weder hinsichtlich der Ausschussgröße noch hinsichtlich des Zählverfahrens eine eindeutige „Tradition“ feststellen. Die Fachausschüsse hätten zwar seit Bestehen des Landtags häufig 13 Mitglieder gehabt, die Größe habe aber dennoch von 11 bis 18 Mitgliedern gereicht. Hinsichtlich des Zählverfahrens lasse sich allenfalls eine Tradition des seit 1955 in der Geschäftsordnung normierten Verfahrens nach d’Hondt feststellen, wohingegen das Zählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers nicht zur praktischen Anwendung gelangt sei.
Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf die Festlegung einer Ausschussgröße von 13 Mitgliedern und die Anwendung des Zählverfahrens nach Sainte-Laguë/Schepers. Allein die Tatsache, dass diese Kombination ebenfalls verfassungsgemäß gewesen wäre, führe nicht zur Verfassungswidrigkeit der von dem Landtag getroffenen Regelung. Die Organisationsautonomie und der hieraus folgende weite Gestaltungsspielraum des Landtags seien vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass es innerhalb einer gewissen Bandbreite mehrere zulässige Regelungen geben könne, aus denen der Landtag auswählen dürfe, ohne hierbei besondere Gründe angeben zu müssen.
Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, zu prüfen, ob eine andere Regelung „sachgerechter“, „besser“ oder „zweckmäßiger“ gewesen wäre. Unabhängig davon erweise sich auch im konkreten Vergleich mit den anderen in Betracht kommenden Regelungsvarianten die getroffene Regelung – selbst wenn man sie einer strengeren Zweckmäßigkeitsprüfung aussetze – als sachgerecht. Bei dieser Prüfung seien nicht die subjektiven Motive der beteiligten einzelnen Abgeordneten maßgeblich, sondern die Frage, ob die Regelung objektiv sachlich gerechtfertigt sei.
Zwei der näher in Betracht kommenden Regelungsvarianten für die Größe und Besetzung der Ausschüsse schieden aus vertretbaren sachlichen Gründen aus. So führe die Kombination einer Ausschussgröße von 12 Sitzen mit der Besetzung dieser Sitze nach dem Verfahren von Sainte-Laguë/Schepers (mit Mindestsitzen zugunsten kleiner Fraktionen) zu einem rechnerischen „Patt“ zwischen Regierung und Opposition. Auch gegen die Regelungsvariante, bei der die Ausschussgröße 13 Sitze betrüge und diese Sitze nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren (mit Grundmandatsklausel) besetzt würden, spreche der Einwand, dass der 13. Sitz dabei zwischen der Antragstellerin und der CDU-Fraktion im Wege des Loses vergeben werden müsste. Beim Losen würde die Zusammensetzung der Ausschüsse letztlich teilweise dem Zufall überlassen, der in der staatsrechtlichen Literatur als ein irrationaler und damit „wahrhaft willkürlicher“ Einflussfaktor abgelehnt werde.
Hinsichtlich der verbleibenden Regelungsvarianten liege auf der Hand, dass die Wahl der Regelungsalternative „12 Sitze“ und Besetzung nach dem „d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren“ (mit Grundmandatsklausel) anstelle der von der Antragstellerin begehrten Regelungsalternative „13 Sitze“ und Besetzung nach „Sainte-Laguë/Schepers“ wegen der mit der erstgenannten Regelungsalternative verbundenen rechnerischen Vorteile für die „großen“ Parteien und die Regierungsfraktionen, also mit dem Ziel der möglichst hohen Repräsentation der Landtagsmehrheit in den Fachausschüssen erfolgt sei. Hingegen führe die von der Antragstellerin bevorzugte Regelungsvariante zu einer Unterrepräsentation der zwei größten Fraktionen (SPD-Fraktion: -0,1 %-Punkte; CDU-Fraktion: -3,9 %-Punkte) und zugleich einer Überrepräsentation der Antragstellerin (+1,5 %-Punkte) im Vergleich zu dem jeweiligen Sitzanteil im Plenum.
Es liege in der Natur des parlamentarischen Spielraums bei Erlass der Geschäftsordnung und sei nicht sachwidrig, wenn ein Parlament bei Erlass seiner Geschäftsordnung – die durch einfache Mehrheitsentscheidung beschlossen werden dürfe – aus mehreren verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten diejenige Regelungsvariante auswähle, die sich bei objektiver Betrachtung rechnerisch zum Vorteil der Mehrheit und damit zugleich zum Nachteil der Minderheit auswirke. Zu dieser Art (vermeintlichem) „Eigennutz“ sei die Parlamentsmehrheit durch das Wählervotum der demokratischen Wahl zwar nicht verpflichtet, aber jedenfalls berechtigt – der Eigennutz der Mehrheit sei in diesem Sinne kein egoistischer, sondern ein im demokratischen Sinne gemeinwohlorientierter Nutzen. In diesem Sinne schließe der Spielraum der Gestaltung durch das Parlament auch politische Erwägungen ein, von Seiten der Parlamentsmehrheit ebenso wie von Seiten der Opposition. Eine Verpflichtung der Mehrheit, den Interessen der Minderheit den Vorrang einzuräumen, bestehe nur dort, wo die Verfassung dies gebiete. Das sei hier nicht der Fall.
Die getroffene Regelung weise damit als solche keinen diskriminierenden Bezug zu den politischen Inhalten der Antragstellerin auf, sondern sie wäre aus den gleichen Gründen auch im Verhältnis zu jeder anderen Fraktion denkbar und gerechtfertigt gewesen.
Urteil vom 23. Januar 2018, Aktenzeichen: VGH O 17/17
Die Entscheidung kann hier abgerufen werden.