Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit einem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2019 ergangenen Urteil die Organklage eines Landtagsabgeordneten gegen den Ausschluss aus seiner Fraktion zurückgewiesen.
I.
1. Der Antragsteller ist Mitglied der AfD (Alternative für Deutschland) und Abgeordneter des Landtags Rheinland-Pfalz. Mit seinem Antrag wandte er sich gegen den Ausschluss aus seiner Fraktion, der im September 2018 durch Beschluss der Fraktionsversammlung erfolgt war. Die antragsgegnerische Fraktion der AfD hatte den Ausschluss damit begründet, dass der Antragsteller das Vertrauensverhältnis zur Fraktion zerstört und dieser in der Öffentlichkeit großen Schaden zugefügt habe. Sie stützte dies insbesondere darauf, dass der Antragsteller Kontakte zur extremistischen Szene und mit dieser punktuell zusammengearbeitet habe. So habe er etwa einen Vortrag auf einer Veranstaltung gehalten, für die ein ehemaliges Mitglied der NPD geworben habe und bei der dieses auch anwesend gewesen sei. Mit dem ehemaligen NPD-Mitglied habe der Antragsteller zudem in einem WhatsApp-Chat kommuniziert. Dieses Verhalten sei mit der von der Fraktion verfolgten Abgrenzung zum politischen Extremismus nicht vereinbar.
2. Der Antragsteller machte zur Begründung seines Antrags eine Verletzung seiner Rechte als Abgeordneter durch den Fraktionsausschluss geltend. Er rügte insbesondere, nicht ordnungsgemäß angehört worden zu sein; die ihm gemachten Vorwürfe seien ihm nicht hinreichend mitgeteilt worden. Zudem seien in der Sache keine Gründe ersichtlich, die den Fraktionsausschluss rechtfertigen könnten.
3. Einen parallel zur Organklage gestellten Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – gerichtet auf die einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Fraktionsausschlusses – hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 5. November 2018 abgelehnt (VGH A 19/18, vgl. Pressemitteilung Nr. 5/2018).
II.
Der Verfassungsgerichtshof wies den Antrag im Organstreitverfahren als unbegründet zurück.
Der Fraktionsausschluss sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Fraktion habe durch den Ausschluss des Antragstellers aus der Fraktion dessen aus dem Statusrecht eines Abgeordneten folgenden Anspruch auf willkürfreie Entscheidung nicht verletzt.
1. Fraktionen seien für das Verfassungsleben notwendige und zugleich die das Parlament bestimmenden Einrichtungen. Sie organisierten das parlamentarische Geschehen arbeitsteilig und sicherten die parlamentarische Funktionsfähigkeit vor allem durch mehrheitsfähige Meinungsbündelung. Die Mitarbeit in einer Fraktion habe daher für die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten eine gewichtige Bedeutung. Die Bildung einer Fraktion als freiwilliger Zusammenschluss von Abgeordneten im Parlament erfolge in Ausübung des freien Mandats der Abgeordneten. Sie seien frei in der Entscheidung, mit wem und unter welchen Bedingungen sie sich zur gemeinsamen politischen Arbeit zusammenschlössen. In Wahrnehmung ihrer Mandatsfreiheit könnten die Fraktionsmitglieder grundsätzlich einen Abgeordneten auch aus ihren Reihen wieder ausschließen. Angesichts der zentralen Bedeutung der Fraktionen für die parlamentarische Arbeit und die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten stehe eine solche Entscheidung über den Verlust der Fraktionszugehörigkeit jedoch nicht im Belieben der Fraktion. Der Fraktionsausschluss setze vielmehr ein rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügendes Verfahren sowie einen willkürfreien Entschluss der Fraktionsversammlung voraus.
2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei dem betroffenen Abgeordneten insbesondere die Möglichkeit einer Verteidigung gegen die ihm gegenüber namhaft zu machenden Vorwürfe einzuräumen. Gleichermaßen müssten die Fraktionsmitglieder so informiert werden, dass sie an der Entscheidung über den Fraktionsausschluss verantwortlich mitwirken könnten. Darüber hinaus bestünden rechtsstaatliche Mindestanforderungen betreffend die Einberufung der Fraktionsversammlung und die dortige Abstimmung über den Ausschluss.
Der vorliegend im Streit stehende Fraktionsausschluss genüge diesen formellen Anforderungen. Er sei in einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausschlussverfahren beschlossen worden. Insbesondere seien die von der Fraktion dem Ausschluss zugrunde gelegten Gründe dem Antragsteller vor der Abstimmung auf der Fraktionsversammlung in hinreichendem Maße mitgeteilt worden, so dass er dazu habe wirksam Stellung nehmen können. Der Vorwurf, der Antragsteller habe Kontakte zur extremistischen Szene und mit dieser punktuell zusammengearbeitet, sei bereits im Vorfeld in der Fraktion diskutiert worden. Zudem sei der Antragsteller seitens des Landesvorstands der Partei zwei Mal abgemahnt worden und habe nach alledem daher gewusst, was ihm vorgeworfen werde.
3. In materieller Hinsicht setze der Fraktionsausschluss das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ voraus. Als solcher komme nur ein Verhalten in Betracht, das die wesentlichen Grundlagen und Ziele der Fraktion nachhaltig beeinträchtige. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn das Fraktionsmitglied das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört habe, dass den anderen Fraktionsmitgliedern die weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden könne. Darüber hinaus könne ein „wichtiger Grund“ darin bestehen, dass ein Fraktionsmitglied durch sein Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädige und die Außenwirkung der Fraktion damit beeinträchtige. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten eines Fraktionsmitglieds einen „wichtigen Grund“ für einen Fraktionsausschluss darstelle, sei zu berücksichtigen, dass der Fraktion vermittelt durch die ihr zukommende Befugnis zur selbständigen und alleinigen Regelung ihrer inneren Angelegenheiten (Fraktionsautonomie) in der Einschätzung der Wirkung und der wertenden Beurteilung des Verhaltens der Abgeordneten ein weiter Spielraum zuzugestehen sei. Die Festlegung ihrer programmatischen Grundlagen und der Anforderungen in personeller Hinsicht unterliege nämlich weitgehend ihrer Definitionsmacht. Gleiches gelte für die Beurteilung, wann ein schwerer politischer Schaden für die Fraktion vorliege. Die gerichtliche Kontrolle habe daher die fraktionseigenen Wertungen zu achten und der Fraktion einen erheblichen Entscheidungsspielraum zu belassen. Es sei nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, seine Beurteilung an die Stelle derjenigen politischen und sonstigen, an innerfraktionellen Maßstäben ausgerichteten, Wertungen zu setzen. Der Verfassungsgerichtshof betonte, dass sich daher die gerichtliche Prüfung eines „wichtigen Grundes“ insgesamt auf eine Willkürkontrolle zu beschränken habe. Als letztlich politische Entscheidung sei der Fraktionsausschluss verfassungsrechtlich alleine darauf überprüfbar, ob das Statusrecht des Abgeordneten in grundlegender Weise evident verkannt worden sei.
Gemessen an diesen Maßstäben sei der Fraktionsausschluss auch materiell verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zunächst seien die von der Fraktion im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Beschlussfassung über den Ausschluss zugrunde gelegten tatsächlichen Annahmen nicht evident unzutreffend. Die Fraktion habe bei ihrer Entscheidung darauf abgestellt, dass der Antragsteller einen Vortrag auf einer Veranstaltung gehalten habe, für die ein ehemaliges NPD-Mitglied geworben habe und auf der dieses anwesend gewesen sei. Zudem habe die Fraktion der Entscheidung über den Ausschluss ein Chat-Protokoll zu Grunde gelegt, aus dem erkennbar werde, dass der Antragsteller das ehemalige NPD-Mitglied dort mit Vornamen angesprochen habe. Diesen und den weiteren tatsächlichen Annahmen der Fraktion sei der Antragsteller während des Ausschlussverfahrens nicht in einer substantiierten Weise entgegengetreten. Auf dieser Entscheidungsgrundlage habe die Fraktionsversammlung sodann in verfassungsrechtlicher nicht zu beanstandender Weise einen „wichtigen Grund“ für den Fraktionsausschluss bejaht. Unter Zugrundelegung des der Fraktion insoweit zukommenden Wertungsspielraums könne die Einschätzung, das Verhalten des Antragstellers beschädige die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Fraktion und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit, nicht als willkürlich beanstandet werden. Die Einschätzung, ob der dem Antragsteller vorgeworfene Kontakt zur extremistischen Szene, insbesondere zu einem ehemaligen aktiven Mitglied der NPD, mit ihrem politischen Selbstverständnis und ihren politischen Zielsetzungen vereinbar sei, unterfalle der Definitionsmacht der Fraktion. Die Annahme, dass eine Kooperation mit für die Fraktion nach ihrem selbst definierten Standpunkt untragbaren Personen die vertrauensvolle Zusammenarbeit und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigen könne, sei jedenfalls nicht willkürlich. Darüber hinaus gehend sei es nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, inwieweit die Antragsgegnerin eine Abgrenzung zu der von als mit ihren Zielsetzungen unvereinbar erklärten extremistischen Szene tatsächlich verfolge, weil er damit seine politische Beurteilung an die Stelle derjenigen der Fraktion setzen würde.
Urteil vom 29. Januar 2019, Aktenzeichen: VGH O 18/18
Die Entscheidung kann hier abgerufen werden.