| Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Streit um den Ausschluss eines Landtagsabgeordneten aus der AfD-Fraktion bleibt ohne Erfolg

Pressemitteilung Nr. 5/2018

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 5. November 2018 den Antrag eines Landtagsabgeordneten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Streit um den Ausschluss aus seiner Fraktion abgelehnt.

Der Antragsteller ist Abgeordneter im Landtag Rheinland-Pfalz. Er wendet sich in einem vor dem Verfassungsgerichtshof geführten Organstreitverfahren gegen den Ausschluss aus seiner Fraktion, der im September 2018 durch Beschluss der Fraktionsversamm­lung erfolgte. Die antragsgegnerische Fraktion der AfD (Alternative für Deutschland) stützte den Ausschluss darauf, dass der Antragsteller das Vertrauensverhältnis zur Fraktion zerstört und dieser in der Öffentlich­keit großen Schaden zugefügt habe; er habe Kontakte zur extremistischen Szene und mit dieser punktuell zusammengearbei­tet.

Der Antragsteller macht im Organstreitverfahren eine Verletzung seiner Rechte als Abgeordneter durch den Fraktionsausschluss geltend. Er rügt insbesondere, nicht ord­nungsgemäß angehört worden zu sein; zudem seien in der Sache keine Gründe ersichtlich, die den Fraktionsausschluss rechtfertigen könnten. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, die Vollziehung des Beschlusses über den Fraktionsausschluss bis zur Entscheidung im Organstreitverfah­ren einstweilen auszusetzen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb ohne Erfolg.

Der Verfassungsgerichtshof wies dabei zunächst darauf hin, dass er im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln könne, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wich­tigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei. Sei der Ausgang des Haupt­sacheverfahrens – hier das Organstreitverfahren – offen, müsse der Verfassungs­gerichtshof die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Hauptsache aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstün­den, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Vorliegend sei der Ausgang des Organstreitverfahrens offen. Die Prüfung der Begrün­detheit des dortigen Antrags werfe vom Verfassungsgerichtshof bislang nicht geklärte Fragen auf und müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es werde dort zu prüfen sein, unter welchen Voraussetzungen formeller und materieller Art ein Frak­tionsausschluss zulässig sei.

Die danach zu treffende Folgenabwägung gehe zulasten des Antragstellers aus.

Für die Antragsgegnerin hätte der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Folge, dass sie den Antragsteller trotz des nach ihrer Bewertung zerstörten Vertrauensverhältnisses weiterhin an der Fraktionsarbeit und an den Fraktionssitzungen zu beteiligen hätte. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in ihre Belange dar. Fraktionen seien für das Verfas­sungsleben notwendige und zugleich die das Parlament bestimmenden Einrichtungen. Sie sicherten die parlamentarische Funktionsfähigkeit vor allem durch mehrheitsfähige Meinungsbündelung. Dies setze in der Zusammenarbeit der Fraktion eine offene, unbefangene und vertrauensvolle Diskussion voraus. Bei einem gestörten Vertrauens­verhältnis sei eine Meinungsbündelung durch die Fraktion nicht mehr gewährleistet und damit der innerfraktionelle und infolge dessen auch der parlamentarische Willens­bildungsprozess gefährdet. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Fraktion im Rahmen ihrer Fraktionsautonomie in der Einschätzung der Wirkung und in der wertenden Beurteilung des Verhaltens des Abgeordneten ein weiter Spielraum zuzugestehen sei.

Demgegenüber ginge dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache in der Zwischenzeit die Möglichkeit zur Beteiligung an der Fraktionsarbeit unwiederbringlich verloren. Die Möglichkeit, eine Fraktion zu bilden und in ihr mitzuarbeiten, habe im parlamentarischen Alltag eine gewichtige Bedeutung bei der Ausübung eines Abgeordnetenmandats, nicht zuletzt wegen der erweiterten Informations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Auch wenn dem Antragsteller die über die Fraktionsmitgliedschaft vermittelten Mitwirkungsmöglich­keiten nicht mehr zur Verfügung stünden, bleibe ihm gleichwohl der Kernbestand der Rechte eines Abgeordneten erhalten, die ihm die Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung und Entscheidungsfindung ermöglichten. Etwaige Nachteile dadurch, dass der Antragsteller die Unterstützung der Fraktion in juristischer oder tatsächlicher Hinsicht verliere, könnten – zumindest teilweise – durch die Parlamentsverwaltung aus­geglichen werden.

Wäge man die Belange des Antragstellers und der Antragsgegnerin ab, gehe dies zu Lasten des Antragstellers aus. Insbesondere im Hinblick auf die Beeinträchtigung der für die Funktionsfähigkeit der Fraktion notwendige interne vertrauensvolle Zusammen­arbeit und deren Vorarbeit für den parlamentarischen Willensbildungsprozess sei es dem Antragsteller angesichts der ihm auch außerhalb der Fraktion verbleibenden par­lamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten zuzumuten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache der Fraktion nicht anzugehören. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verfassungsgerichtshof beabsichtige, über den Organstreit in der Hauptsache innerhalb weniger Monate zu entscheiden. Der Antragsteller wäre damit in der Wahr­nehmung seiner Rechte – sollte sich im Hauptsacheverfahren deren Verletzung durch den angegriffenen Fraktionsausschluss herausstellen – nur für einen im zur Vergleich zur Gesamtdauer der Legislaturperiode geringfügigen Zeitraum beeinträchtigt.

Beschluss vom 5. November 2018, Aktenzeichen: VGH A 19/18

Die Entscheidung kann hier abgerufen werden.

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