Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit Beschluss vom 13. Dezember 2021 einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zugrunde lag.
Der Beschwerdeführer war Betroffener in einem Bußgeldverfahren, in dem ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wurde. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines mobilen Messgerätes des Typs PoliScan Speed M1 der Firma Vitronic. Nachdem seine Verteidigerin Einsicht in die Bußgeldakte erhalten hatte, beantragte sie im Laufe des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittlich, die Überlassung weiterer Dokumente. Gefordert wurde unter anderem die Vorlage der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind. Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab und verurteilte den Beschwerdeführer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 140 Euro. Sein bei dem Oberlandesgericht Koblenz gestellter Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts als auch gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts. Er machte unter anderem geltend, die Nichtüberlassung der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts sowie bestimmter Messdaten – weiter gefordert wurden die Falldatensätze der gesamten Messreihe einschließlich der Statistikdatei und Case-List – verstoße gegen Grundrechte der Landesverfassung.
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 77 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz). Aus dieser Gewährleistung, die sich mit den entsprechenden Vorgaben des Grundgesetzes decke, folge im Grundsatz das Recht des Betroffenen, in tatsächlich vorhandene Unterlagen über Messgerät und Geschwindigkeitsmessung Einsicht zu nehmen. Auf diese Weise werde dem auch von dem Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit betonten Gedanken der „Waffengleichheit“ zwischen Bußgeldbehörde und Betroffenem Rechnung getragen und diesem die Möglichkeit eröffnet, selbst nach Entlastungsmomenten in Gestalt von Fehlern im Messverfahren zu suchen. Allerdings bestehe ein Informationsanspruch nicht unbegrenzt. Er setze zum einen voraus, dass der Betroffene die begehrten Informationen hinreichend konkret benenne. Zum anderen sei erforderlich, dass die Dokumente überhaupt einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufwiesen. Zudem dürften dem Anspruch keine gewichtigen verfassungsrechtlich verbürgten Interessen wie beispielsweise die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder schützenswerte Interessen Dritter entgegenstehen. Im Falle der vom Beschwerdeführer begehrten Einsicht in die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts seien die Voraussetzungen eines Einsichtsrechts erfüllt.
Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der verweigerten Einsichtnahme in die genannten Unterlagen erfolgreich war, könne die vom Beschwerdeführer weiter aufgeworfene Frage dahinstehen, ob das Messergebnis wegen der vom Messgerät nicht gespeicherten sog. Rohmessdaten verwertbar gewesen sei.
Beschluss vom 13. Dezember 2021, Aktenzeichen: VGH B 46/21
Die Entscheidung kann hier abgerufen werden.